Texte zur Kunst
1.
aus:
Die Wirklichkeit als Überlegung
„ Der Maler malt, damit er etwas zu sehen hat.“
Barnett Newman
Einleitung
Deutet B. Newmans
Satz an, dass es nichts anderes zu sehen gibt, als das, was
der Maler selbst dazu eigentlich erst schafft, etwa
weil, wie schon Cezanne meinte: “alles verschwindet“?
Was sehen wir dann überhaupt, wenn wir auf etwas blicken?
Meint Newmans Satz, dass der, der sieht, zwar auf etwas trifft,
das sich dem Blick ergibt. Dass aber eben das, worauf der Blick
trifft, nicht in seinem Sein angetroffen wird, weil das, was
sich dem Blick ergibt, eher einer Kategorie des Habens, des Im-Blick-Habens,
denn des Seins zugehört. Und dass dies Habhaftwerden von
etwas, dem der Blick sich zuwendet, wiederum aus einem ihm vorausgehenden
Willen/Zwang etwas haben zu wollen/müssen resultiert, der
die Sinn- als Seinskategorie eher verdeckt bzw. verschleiert
als eröffnet? Und heißt dies weiter, dass etwas im
Blick zu haben im Grunde illusorisch in Hinsicht aufs Sein ist,
weil das, was wir sehen und damit be-kennen, d.h. durch Be-Trachtung
mit Kenntnis ver-sehen, zwar tatsächlich ist, damit aber
nichts anderes als die Reflektion unserer gegenstandschaffenden
Projektion, die uns auf uns selbst zurück und das verweist,
was wir notwendigerweise zu haben brauchen. Notwendigerweise,
weil durch das Haben des Etwas, das der Blick sucht und für
sich (er-)findet, der Mangel, der die Suche veranlasst hat, zu
stillen wäre. Meint er, dass also das Habenwollen imgrunde
sogar ein Habenmüssen ist, eine Reaktion auf jenes gefühlte
vom Mangel ausgelöste Bedürfnis, das durch einen Willen,
der gar nicht der eigene, sondern der Lebensdrang selbst ist,
ausgelöst wurde; - dem Lebensdrang an sich, dem wir unterworfen
sind. Ist aber der Hunger nicht der Einbruch des Fremden, der
Leere, ins Eigene, wo er sich dann als eigene Neugier, als „Bilderhunger“ zu äußern
scheint? …
Und folgt nicht aus all dem, dass wir in Wahrheit von Blindheit
beherrscht werden, weil das, was wir zu sehen glauben, gar nicht
wirklich ist, sondern letztlich nur Illusion, d.h. etwas, das
nicht das ist, was es zu sein vorgibt? Heißt dies nun wiederum,
dass nur das Schauspiel selbst zu erkennen ist? Ein Schauspiel,
das nur das vorstellt, was wir zu sehen glauben wollen/müssen?
Und dass sich in diesem Schauspiel nur das (als) wirklich erkennen
lässt, was unsere Erfindung zeigt, die dazu dient, unseren
Mangel, unsere Bedürftigkeit zu überspielen. Und uns,
indem wir etwas haben, das uns mittels der Konstruktion unserer
Sinne gegeben wird, die genau da-zu da sind, am Ende doch nur
durch sie unsere eigene Mangelhaftigkeit widerspiegelt wird?
Und zwar in Form und als Form? Und zwar vergänglich, da
alle Formen, die dem Haben zugehören, vergänglich und
mangelhaft sind und der Ergänzung bedürfen?
Heißt dies in weiterer Konsequenz nicht, dass für
uns nur das wirklich ist, was fehlt. Dass nur das Fehlen wirklich
ist, weil es uns zwingt, uns eine Wirklichkeit zu erschaffen,
die wir – im Hin und Her des Schauspiels - durch Sinnestätigkeit
und Denken be-wirken? Eine Wirklichkeit also, die eigentlich
nur Ausdruck der Geschichte unseres Be-Wirkens ist und das, was
Sein ist, gerade hinter ihrem Schleier, dem Schleier, den sie
gewirkt hat, verbirgt? Und wäre dies dann nicht ein v.a.
egozentrischer, ja solipsistischer Ansatz, - einzig aus dem eigenen
Bedürfnis gespeist, diesen Schleier der Wirklichkeit als
einen Grund für etwas Sinnvolles, Sinnerfüllendes und
damit Sinnerfülltes zu haben, um die Tatsache zu leben überhaupt
ertragen zu können?
Wir können Dinge an sich, die für uns unerkennbar sind,
nur als Gegenstände erkennen. Durch unser Erkennen werden
die Dinge zu Gegen-Ständen für uns. Sie stehen uns
gegenüber, um angenommen und schließlich wahrgenommen
werden zu können. So werden sie zu Tatsachen. Sprechen wir
den Gegenständen, die von uns dafür vorgestellt und
entworfen, indem wir sie dann wahrnehmen, nicht Wahrheit zu,
weil wir sie durch unser Nachdenken als wirklich beweisen und
durch dieses Be-Weisen ihnen jene Be-Deutung einschreiben, die
wir selbst in sie verlegt, hieingetragen haben, damit in ihnen
jener Sinn sei, den die Sinne darin erfanden, damit wir Erfüllung
erleben?
Ist dies, einen solchen sinnvollen Grund zu bilden, also das,
was den Künstler z.B. zu malen veranlasst? Schaffen, um
sich einen Grund, eine Sub-Stanz (substare=lat.: darunterstehen)
zu schaffen, um überhaupt etwas zu haben/wissen, um das
Leben, die apriorische Fremdbestimmung aushalten zu können?
Wäre dies Schaffen, diese Identität stiftende Einverständniserklärung,
die Identifizierung mit dem Aggressor Leben, das uns angeht,
dann evtl. nicht nur eine Rechtfertigung für uns, die aus
persönlichem Bedürfnis, einer individuell schmerzlichen
Betroffenheit resultierte, die den Wunsch nach Aufgehobenheit
generiert? Die beweisen soll, dass es möglich sein könnte,
sinnvoll zu leben?...
Oder weist Newmans Satz darauf hin, dass der Maler durch das
Malen des Bildes etwas aus einer Sphäre des zunächst
Unsichtbaren (des Seins) ins Sichtbare übersetzt, um hinter
den Schleier der Wirklichkeit zu gelangen, damit er, - der als
Grenze des Sichtbaren etwas vom Unsichtbaren, das dahinter zum
Vorschein kommt, angibt- , etwas von dem aufscheinen lässt,
was „die Welt im Innersten zusammenhält“ – etwas,
das ist und also bleibt? Und tut er dies, damit überhaupt
etwas ist und bleibt und eben nicht alles verschwindet?...
Das Senti-Mentale
Das Leben ist, vom
Blickpunkt des Präsens aus betrachtet,
immer mangelhaft, denn es ist, solange es währt, nie ganz,
nie abgeschlossen. Es ist in Bezug auf seine endgültige
Form unvollendet. Es ist teilweise und damit ist es Ausdruck
eines Seinsmangels. Zwingend liegt für das Bewusstsein die
Zukunft als das auf den Einzelnen Zu-kommende vor. Das Sein,
das offen und vollkommen ist, tut sich demnach immer nur teilweise
als und über Seiendes kund, d.h. als oder in Form von „etwas“ .
Was Newmans Diktum also in jedem Falle impliziert ist, dass der
Künstler etwas schafft: und zwar „als etwas“ bzw. „etwas
als“. Und eben deshalb, damit (dieses) etwas sei und nicht
vielmehr nichts. Dies, dass es dann ist, das es dann existiert
(zuerst aus dem, der es schafft und schließlich aus sich
selbst heraus), nennt Newman Präsenz. Präsenz heißt,
dass etwas als etwas, nämlich als Präsent, als Gabe,
als Gegebenheit erscheint.
Die Gegebenheiten, um die es in der Kunst geht und die ihren
Rahmen bilden, sind jene, die man als „die letzten Fragen“ bezeichnet
hat. D.h. dass es in der Kunst nicht primär um Inhalt, Form
geht. Vielmehr geht es darin um Sein oder Nichtsein, Alles oder
Nichts, Leben und Tod. Diese Grenzmarkierungen, zwischen denen
das Leben sich abspielt, sind die einzig relevanten Kriterien
der Kunst. Diese ist darum, - noch einmal sei auf einen Gedanken
Newmans verwiesen - v.a. der Ausdruck von Gedanken, von Wahrheiten….
Kunst ist das Zusammenwirken von Fühlen und Denken Das Werk
stellt das Nachdenken über das Fühlen dar. In ihm,
das beider Schnittpunkt ist, sind beide Aspekte vereint. Man
kann dies am besten im Begriff des Senti-Mentalen fassen, in
dem Fühlen und Denken als gleich-gültig gelten können…
Kunst
Kunst richtet sich
nicht nach Nützlichkeit...
Linien etwa können auftauchen, ohne (künstliche) Zusammenhänge
zu bilden bzw. abzubilden oder zu suggerieren. Die Zusammenhänge
entstehen nur in der Interpretation des Betrachters, auf den
sie zurückweisen, was diesem Selbsterkenntnis ermöglicht…
Auf dem Bild ist nichts anderes zu sehen, nichts als Entleerung
durch Erscheinung, wodurch das ihm zugrunde liegende Paradoxon
angesprochen ist. Durch die Leere widersetzt sich das Bild jeder
Bedeutungsfülle (und der generellen Bilderfülle der
natürlichen Welt).
Das Bild befreit damit das Sehen von Schwere und so vom Gitter
der hingerichteten Blicke, den Netz(lini)en der Kausalität,
der Wirklichkeit, des Habens. Er befreit das Sehen vom Zwang
des Blickens und der Last der Blindheit als Jenseits aller Seh(n)sucht,
indem das Sehen selbst zu sehen ist und nichts weiter. Dies ist
das utopisch-metaphysische Moment des Bildes, das da-durch zum
Vorschein kommen kann. Der Maler malt also nichts, was irgendwie
(etwas) hat. Er malt nichts und damit, was ist. Das Bild ist
das Bild. Sonst nichts Und weil das Bild ist, und zwar stets
Präsens, tritt es als unvergleichliches Gleichnis (des Seins)
in Erscheinung.
Der Maler malt also nicht allein, damit er etwas zu sehen hat,
sondern damit Sehen ist.
2.
aus: Narben der Zeit
„
Die Linien des Lebens sind verschieden…“
Hölderlin
Linien: Berührungen, Verletzungen, Narben des Offenen,
das freilich erst durch sie, die die Gitterstäbe der Gefängniszelle
des Blickens, in der die Dinge gefangen sind, erkannt werden
kann. Denn an sich ist das Sehen, dessen Werkzeuge die Blicke
sind, unendlich, frei. Die Blicke aber binden die Erkenntnis
ans Erkannte. Blicken und Sehen sind also nicht das Gleiche.
Erst wenn die Blicke auf Gegen-Stände, die Wider-Stände,
Vor-Stellungen sind, d.h. auf Grenzen treffen, wird (sich) das
Sehen als ausgegrenztes Gegen-über bemerkbar, wobei die
dabei gefundenen Grenzen, nun zugleich einen Mangel an und am
Offenen ersichtlich machen. Das unbedingte Offene, das, was (ohne
Ding zu sein) ist, wird nun verschlossen, weil die Blicke nicht öffnen,
sondern die Dinge und mit ihnen das Sehen einschließen.
Blicken macht blind, da der Gegenstand die freie Sicht versperrt.
Indem es verloren ist, tritt das Offene nun als Mangel auf. Als
Seinsmangel. Und dieser Mangel gibt sich als Bedürfnis zu
erkennen. Er verlangt nach Form als Nahrung, d.h. nach Da-Sein.
Er will nun Fülle statt der früheren Leere, als die
die Offenheit jetzt erscheint, Und dafür in-formiert die
Linie, wenn sie Gegenstände umgrenzt und sie dadurch in
ihrem begrenzten Da-Sein als Vereinzelte erschafft. …
…
Durch das nun mittels der Linie in Erscheinung tretende Da-Sein
wird die Leere als Raum erkennbar, wie der Gegenstand selbst
darin. Dieser Gegenstand kann freilich auch die Linie selbst
sein, wie diese sie selbst aber auch einen anderen Gegenstand
bedeuten kann, dem sie Kontur ist. Durch die Linie wird der vormalige,
allumfassende Raum vollkommener Leere zum (räumlichen und
zeitlichen In-)Zwischenraum, der durch die (Unter-)Brechung,
die die Linie bildet, definiert wird.
Die vormalige vollkommene Leere, wird jetzt, weil etwas (z.B.
der Gegenstand) im Interessenraum statt-findet, durch die Sinne,
das Sehen, das darauf blickt/trifft, scheinbar (er-)füllt.
Die vollkommene Leere erscheint dabei nun reduziert auf jenen
Zwischen-Raum, in dem sich das, was in ihm stattfindet als gegenüberstehend,
d.h. als Gegenüber erweist. Das, was gegen(über von)
etwas (anderem) steht, erweist dieses Etwas als Gegen-Stand und
diesen Gegenstand als Vor-Stellung, an dem sich die Blicke brechen.
Durch die Linie, die sowohl den Gegenstand umschreibt als auch
den ihm umgebenden Raum mit definiert, zeigt sich die den Gegenstand
umgebende Leere als jene Umgebung in der der Gegenstand als Um-stand
in Erscheinung tritt…
…
In der „Natur“ gibt es keine Linien. Vielmehr ist
die Linie ein Widerstand zur Natur, denn sie ist der Natur gegenüber.
Die gezeichnete Linie ist darum ein Anzeichen des Geistigen.
Sie ist eine persönliche Stellungnahme, durch die die Natur
ergänzt wird, indem sie ihr gegenüberstellt wird. So
wird auf das hingewiesen, was hinter der Fülle der Dinge
der Natur ist. D.h. die Linie weist als ihre Grenze auf das hin,
was hinter der Natur liegt, ja deren Substanz ist. Denn sie teilt
sie und sich selbst mit. Und mithin die vollkommene Leere, die
hinter aller Kon-Kretion, die die Natur als das seiner Wortbedeutung
nach Zusammenwachsende /Zusammengewachsene ist.
Da-bei ist sie einsam und mit-teilend. Sie grenzt sich aus der
vollkommenen Leere aus und taucht davor auf wie das Licht vor
dem Dunkel, wie die Stimme über der Stille. Wie diese als
Unsagbares im Sagbaren (mit)spricht, das sie als Unerhörtes/Unhörbares
begründet, bezeichnet die Linie etwas Unsichtbares, das
gleichwohl zu-nächst ist. Sie erzeugt das, was sich durch
sie, nun sinnvoll, weil in sie Sinn gelegt wurde, materialisiert,
um zugleich hinter diese Materialisation zu weisen, d.h. den „Ort“,
vor dem diese auftaucht und verschwindet. Die Linie ist die Grenze
dieses Zwischenbereichs. So tauchen die Linien vor einem Grund
auf, den sie durch ihre Setzung überhaupt erst erzeugen,
der dabei zum gleichzeitigen wie unsichtbaren Hintergrund wird.
Blickt man auf diesen, verschwindet die Linie, blickt man auf
die Linie, verschwindet der…
Als Spur des Spürens ins Offene des vollkommenen Leeren
hinein, das der Interessenraum mit den Tatsachen der Gegenstände
in ihm repräsentiert, ist die Linie nie abgeschlossen, nur
abgebrochen. Sie bricht auf und wieder ab. Jede Linie ist eine
vorderste, eine vorderste Front. Sie weist auf einen Kampfplatz
hin, der das Leben als Krieg des Kriegens zeigt. Jede Linie bezeichnet
zugleich eine Veränderung. Sie ist Widerstand, weil sie
eine neue Tatsache schafft, indem sie einen neuen Gegenstand
bildet. Zugleich ist sie so Widerstand gegen einen Zustand, der
durch sie verändert/verandert wird bzw. werden soll. Immer
steht sie dagegen, wenn sie auch auf ihn verweist.
Und so kommt durch sie ein utopisches Moment auf. Als vorderste
Frontlinie tastet sie sich voran ins unheimliche Gebiet der Unsichtbarkeit
der vollkommenen Leere. Sie, die in das Diesseits gesperrt ist,
das sie schafft, weiß sich einer unerreichbaren Fremde
gegenüber, die nahe liegend ist. Sie ist im wahren Wortsinn: „zu-nächst“
… Die Linie zeigt sich als Versuch des Standhaltens im Da-Sein
am/als Rand der Unsichtbarkeit, am Ufer der Unendlichkeit der
vollkommenen Leere.
Leere ist immer Präsens. Das Bild be-deutet dieses Präsens,
d.h. deutet es an bzw. darauf hin. Prä-Sens ist unbedingt
und darum nie unmittelbar erkennbar. Prä-Sens heißt:
vor dem Sinn , und das wiederum heißt: unsichtbar…
Bilder, die die Unsichtbarkeit selbst in den Blick nehmen, bilden
nichts ab. Was sich darin zu erkennen gibt ist allein, dass es
ist. So wird das Bild zum Bild eines Nicht-Bildes, das sich in
seinem reinen Da-Sein als Bruchstück offenbart. Im Bruchstückhaften
sind Entwurf und Vollendung eines.
Das leere Bild zeigt sich als eines, in dem die Möglichkeit
der Schöpfung selbst aufscheint. Weil sich kein Bild vom
Formlosen, dem All-Einen, das die vollkommene Leere ist, machen
lässt, weist das leere Bild auf den Betrachter selbst als
einsamen und darum begehrlichen Schöpfer (seiner Erwartungen)
zurück und wird so bestenfalls zum Anlass von Reflexion.
Weil jede einzelne Linie selbst nur ein Ausschnitt von etwas
Unendlichem ist, auf das sie zwar anspielt, wobei sich dies Unendliche,
für das sie steht, dennoch nicht in ihr und an sich zeigt,
sondern nur relativ, kommt durch sie ein utopisches Moment zum
Vorschein, das sie an-deutet.
Das, worauf dabei gezeigt wird, ist nichts anderes als die Bedeutung
selbst, d.h. etwas, das selbst nicht zu sehen ist, auf das aber
hingedeutet wird. Weil die Linie (auf etwas hin-)deutet, weil
sie eine Richtung angibt, in die sie weist, wird gerade durch
ihre Begrenztheit etwas von dem ahnbar, das über sie selbst
hinausgeht, das jenseits von ihr ist. Insofern ist das Bild,
das durch die Linie bezeichnet ist, bedeutend. Denn die Linie
deutet auf etwas hin, das nicht in ihr selbst ist. Das Bedeutende
ist darum nicht eine bestimmte Bedeutung als Inhalt, sondern
nur der Hinweis auf sie. Auch wenn das, worauf bedeutet wird,
nicht im Bild ist, wird dies doch durch die bedeutende Linie
in seiner Anwesenheit als Abwesendes zumindest ahnbar. So bedeutet
die Linie also die Anwesenheit der Abwesenheit. Weil solche Bilder
also nur das Bedeutende selbst sind bzw. zeigen, sind sie selbst
ohne andere inhaltliche Bedeutung. Darum erscheinen sie leer,
formlos. Aber gerade durch ihre Leere ist die mögliche Bedeutungsfülle
angedeutet. Fülle und Leere fallen so in eins….
…
Jede Linie/Narbe ist Zeichen einer Schnittstelle zwischen innerer
und äußerer Natur und der damit verbundenen Geschichte.
Linien solcher Art erweisen sich als Überbleibsel persönlichen
zerfallenden Seins, als Ruinen des Sichtbaren. So gesehen sind
sie, weil sie bleiben, der Versuch einer Befreiung der Dinge
aus ihrer Sichtbarkeit und Tatsächlichkeit. So geht es also
um die Darstellung der Unsichtbarkeit selbst, die als Jenseits
durch die Grenze zum Vorschein kommt.
3.
aus: Die Kunst des Bedauerns.
Das durch die Erkenntnis
der eigenen Sterblichkeit ausgelöste
Bewusstsein der Endlichkeit des Lebens und die damit verbundene
und verursachte Auseinandersetzung damit, ist Inhalt und Grundlage
jedes anspruchsvollen Kunstwerks, das eine Antwort auf die dadurch
ausgelöste Konfrontation mit der Todesfrage zu geben sucht.
Dabei geht der An-Spruch, den die Todesfrage stellt und vor der
jeder sich, sobald er sie vernommen hat, unausweichlich gestellt
sieht, in bedeutungsvoller Weise ins Werk ein, das sich als Reaktion
darauf zeigt und sich entsprechend lesen läßt. Und
indem es sich so zeigt, weist es auf die Todesfrage zurück,
d.h., (wortwörtlich verstanden) es be-deutet sie, wodurch
das Werk selbst sowohl anspruchsvoll (weil es sich diesem An-Spruch
verdankt) wie auch bedeutungsvoll (weil es darauf hindeutet)
erscheinen kann…
Kunst ist stets Ausdruck, Zeichen eines Aufbegehrens, eine Demonstration
im wahren Sinn: ein Zeigen auf etwas, gegen das zugleich protestiert
wird und das in seinem Sosein abgeschafft bzw. verändert
sein soll.
Und darum erhebt sich jedes anspruchsvolle Kunstwerk gegen das
Schwere, das Gewicht der Umstände. Dabei ist das Schwere
nicht das Offene, das Sein selbst, sondern der Seinsmangel, der
sich im (endlichen) Ding festmacht, ihm anhaftet und das teilhafte
Leben als immer schon beschädigtes in Hinsicht auf die Ganzheit
ausweist.
Kunstwerke, die, in welcher Weise auch immer, formal bleiben,
bilden in ihrer bzw. durch ihre Formulierung, das Vergängliche,
das Abgeschlossene, d.h. letztlich etwas schon Totes ab. Formal
bleibende Kunstwerke sind also nicht wirklich, sondern wirklich
schon vorbei, weil sie bloß Abbilder sind. Sie re-präsentieren
damit etwas, dessen man bestenfalls zeitweise habhaft werden
kann und schränken so das Offene (des Seins) ein: denn indem
sie etwas haben und haften, sind sie, auch wenn sie scheinbar über
sich hinausweisen, selbst nur Ausdruck von Vergänglichem/Vergangenem.
Denn sie stellen etwas fest und dar, was eigentlich gar nicht
repräsentiert werden kann. Denn wenn der Tod auch etwas
Erwartbares darstellt, bleibt er dennoch jenseits aller Erfahrung
im Sinne eines Er-lebnisses. Als Gegenüber des Lebens in
dem er Vorenthaltenes wie Vorstellung (Grenze) ist, ist er zwar
ebenso ahnbar wie auch gewiß und zugleich doch unkontrollierbar.
Er ist ahnbar, weil ihm die Formen des Lebens gehören, d.h.
ihm die (endliche) Kategorie des Habens immanent ist. Als Nichtsein,
d.h. als Nichts ist er per definitionem aber keine Kategorie
des Seins.
In den Kunstwerken, in denen es ums Offene des Seins geht, geht
es jedoch um eine Utopie: um die Aufhebung des Schweren, d.h.
um das Offene schlechthin, das keine Feststellung, die ja Mortifikation
ist, je anders auszudrücken vermag als durch Aus-Druck (=
Beendigung) des (persönlichen) Ausdrucks, der doch je nur
ein Bei-, besser gesagt: ein Vor-Beispiel wäre.
Wie aber soll ein Kunstwerk, das sich ja stets formal äußern
muss, etwas Nicht-Repräsentatives zeigen? …
Um das, was ist, was west und damit wesentlich ist, das, was
sich im Oszillieren zwischen An- und Abwesen zeigt, zu erreichen,
wird es darum gehen, durch den Verzicht auf alles Formale zu
jener Offenheit zu gelangen, wie es allein im Prä-Sens gewahr
werden kann…
Solches Präsens wird sich als ständiges Be-dauern zeigen
und ergeben. Prä-Sens bedeutet all das, was vor dem Sinn
und seiner Festlegung ist. Und das Bedauerliche meint, dies in
bleibender Schwebe zu halten …
Was der Künstler durchs Be-Dauern sucht ist nicht das formale
(und damit endliche) Aus-Sage-Ergebnis, sondern eben das Präsens
selbst.
Angesichts des Zwangs, den Schwere und Endlichkeit ausüben,
sind daher alle formal(istisch)en, etwa abbildenden oder erzählerischen
Formen der Kunst obsolet und lediglich eine Vermehrung des Scheins,
des Schleiers der Wirklichkeit; d.h. sie sind letztlich eine
Verdunkelung, eine Vermehrung des Schattens, eine Vermehrung
der Geschichte des Todes.
Offene Kunstwerke müssen vielmehr jene/jenen Schwermut beinhalten,
die/der erforderlich ist, um den Druck der Todesfrage aus- und
ihm standzuhalten. Solche Kunst ist kompromisslos. Niemals ist
sie Anpassung oder Trost.
Ganz im Gegenteil ist sie Ausdruck von Aggression. Und zwar zum
einen im Sinne einer Reaktion auf die das persönliche Leben
verletzende Todesbedrohung; zum anderen weil sie allen falschen
Schein zerstören. Kunstwerke sind so immer auch ein Angriff.
Denn zum einen will jedes einzelne Werk vom Künstler in
Angriff genommen sein/werden - und stellt so ein dem Todeszwang
entgegen gesetztes dauerndes Beginnen dar. Egal wie „vollendet“ oder
verschlossen das Kunstwerk auch anmuten mag: seinem Wesen nach
bleibt es unendlich, ist niemals abgeschlossen, fertig, „per-fekt“,
sondern stets potentiell, imperfekt. Und es ist andrerseits ein
Tabubruch, da es das sonst Verschwiegene zum Ausdruck bringt
und die Gewohnheiten, die Ausdruck des Wiederholungszwanges des
Lebenstriebs an sich und damit des Todes sind, zerstört:
zerstört ist damit auch das Tabu der Identität, das
in Form von Gedanken Schutz vor der Angst der Todesdohung darstellen
soll.
Auch wenn Kunstwerke sich zwangsläufig formaler Mittel bedienen
müssen: Sie sind ihrem Wesen nach als sichtbare Ränder
des Offenen aufzufassen. In ihrer Rand-Ständigkeit drückt
sich zum einen den Verzicht auf Abgeschlossenheit/Vollkommenheit
aus; Zum andern wird gerade durch ihre Grenzenhaftigkeit, die
sie noch als formale Gegenstände aufweisen, klar, dass jenseits
davon ein Bereich beginnt, der als metaphysischer Raum jenseits
aller Formen (des Todes) existiert, der, wenn er auch als für
die Erkenntnis ewig unerreichbarer erscheint, sich so doch als
ahnbarer auftut.
Solche Offenheit lässt sich dadurch erreichen, dass man
die Bilder von allem Gegenstand-Haften tilgt, ja alle feststehende/feststellende
Gegenständlichkeit darin abschafft, bzw. diese nur in ihrer
Grenzenhaftigkeit, ihrem Oszillieren zwischen Erscheinen und
Verschwinden zeigt. Denn es geht nicht um den Gegenstand im Bild,
sondern um den Gegenstand der Gestaltung, der Schwermut heißt.
Mehr denn je gilt darum heute, sich jenseits aller affirmativ
wirkenden Trends wieder dem tieferen Grund der Kunst, d.h. der
Schaffung von Präsens, zuzuwenden. Diese „Wiederzuwendung“,
die angesichts der heute gültigen Tendenzen eine echte Re-Volution
meint, bedeutet, sich wieder aufs Unendliche statt aufs Endliche
zu besinnen. Dies kann nur dadurch geschehen, dass man sich erneut
statt dem so genannten Kunstschönen, Erbaulichen etc., wie
es etwa die Ästhetik aus gesellschaftlich durchsichtigen
Gründen ideologisiert, jenem in Vergessenheit geratenen
Bereich zuwendet, der als das Erhabene bezeichnet wird.
Das Erhabene ist das Gegenteil des Schönen und widerspricht
allen ästhetischen Kategorien, die das Schöne betreffen
und die Kunst etwa als Harmonie der Formen/Farben etc. bezeichnen
will. Damit bildet die Kunst aber nur eine herrschende hierarchische
Form ab, die ablenken und vor Zerfall und Angst schützen
soll.
Die Aufgabe der Kunst ist es jedoch, das Erhabene zu vergegenwärtigen.
Das Erhabene stellt den Versuch dar, sich den Dingen und Tatsachen
gerade ohne Hierarchie zuzuwenden. Im Bereich des Erhabenen gilt
es, das Unsichtbare, Gestaltlose auszudrücken, ohne auf
den Bereich gegenständlicher Erscheinungen zu verweisen.
Das Leben ist im Hinblick auf das Sein eine Narbe, d.h. eine
Narbe des Seins.
Einzig die Kunst bietet als das Offene, das die Narbe be-deutet,
ein ständiges Be-Dauern und schafft Unvergängliches,
indem das Be-Dauern bleibt.
Offene Kunstwerke bedürfen nichts, auch keines Betrachters
als Gegenüber. Sie sind an und für sich und gehören
darum dem Bereich der Philosophie an.
Das Kunstwerk als (ihr) Gleichnis - auch eines des Scheiterns,
der Aporie – ist in Wahrheit. So ist es jenseits von Kategorien
wie hässlich/schön bzw. gelungen/misslungen.
Als Gleichnis versucht es dem Schweren gegenüber Ausgleich
zu sein, auch und indem es gleich aus ist. Indem es als Gleichnis
nicht das ist, was es scheint, bleibt es als Präsens und
so unerreichbar: zu-nächst.
4.
Das Lassen tun. Notizen zu meinen Zeichnungen
Zeichnungen sind Fixierungen
von Gedanken, die ihrerseits Fixierungen sind. Als solche sind
sie Schlussziehungen und (ge-)wichtige
Feststellungen. Um sie davon zu erlösen, sie aus dem Gefängnis
ihrer Gebundenheit zu befreien und den Blick auf das bloße
Sein zu öffnen, tilge ich weitgehend wieder die von mir
gemachten Spuren, indem ich die von mir mit der Zeit gesetzten
Zeichen des Entstehungsprozesses entferne, um so das individuell
Endliche, dem sie sich verdanken, wieder abzuschaffen. Leere
und Fülle fallen so in eins, wieder ins ursprünglich
zeitlose Offene, das vor allem (ein-)teilenden Beginn war.
Indem ich die Zeichen als Formen auch meines Selbst tilge, überschreite
ich sie. In dem sie losgelassen sind, werden sie wieder eins
mit jenem Grund, der schon vor allem persönlichen Anfang
war und alle und alles verbindet, für alle und alles immer
gleich gilt.
Die schattenhaften Anschwärzungen, die weil sie trennend
auch traurig und darüber hinaus blind machend sind, weil
sie das offene Sehen verbergen, der eine oder andere Abdruck,
Bruchstücke, Ränder meines Einwirkens mögen dabei
noch erkennbar bleiben und so die ihnen zurunde liegende Idee,
die das Leben an sich ist, in dem dies Einwirken stattfand, noch
andeuten. Doch jenseits alles Prozesshaften, aller damit verbundenen
Werte und Vorgänge, jenseits aller konkreten Phänomenalität,
die dieses als persönliches formt, gelange ich so zu jenem
Wesen des Seins, in dem wieder alles offen und alles Offene ist,
weil das, was war und sein wird, jetzt gelassen ist und gelassen
jetzt ist. In dieser Gelassenheit erscheint alles durchs Verschwinden.
So sind diese Bilder Ausdruck davon, das Tun zu lassen und das
Lassen zu tun. |